“Wie wollen wir leben?” Gerne las ich den Titel des Artikels von Susanne Gaschke in der aktuellen “Zeit”, 43, 2007, enttäuschend war der Inhalt. Deshalb hier und heute: Die Goldene Regel der Zeitkultur.

Die Klage ist alt: “Wir brauchen einen Arbeitsstil, der sich nicht in der eifrigen Befolgung irgendwelcher gerade angesagten Formen erschöpft, sondern wirklich und wahrhaftig am Ergebnis gemessen wird.” Schon, aber: Was heisst noch einmal genau “Ergebnis”? Oder präziser: Wann sollte oder kann man nach einem Ergebnis fragen? Der Wissensgesellschaft ist es in der Rückschau gleichgültig, ob James Watts (Niederdruck-) Dampfmaschine im Jahre 1769 oder vielleicht 5 Jahre vorher patentiert wurde. Mr. Watt nicht.

Gelassenheit, langer Atem, alles richtig, alles sehr subjektiv, alles gesellschaftlich nicht handhabbar: “… für unsere Stärken – hohe Arbeitsproduktivität durch Rationalisierung, Hochtechnologie, Grundlagenforschung – brauchen wir Gelassenheit und langen Atem.” Die Gelassenheit des Einen ist die Hektik des Anderen. “Entschleunigung” ist eine - nicht mehr neue - schöne Wortkreation mit wenig Inhalt, der Ruf nach der Sanduhr im Hamsterrad. Das Ziel ist schwammig, das Maß fehlt, die Uhr als objektiver Zeitmesser kann Minuten, nicht erlebte Zeit messen.

Böse Firma, böser Chef, böse Globalisierung? Nicht vollkommen auszuschließen. Aber, lieber Zeitgeist, passiert denn nun ausserhalb des Berufs endlich die entschleunigte “Quality Time”? Der Eindruck von Gelassenheit in der Feizeit stellt sich nicht recht ein: Termine nix Muße, Eile gegen Langeweile, fit für Wellness, Fun, Museum, Partyhopping, ein Tagestrip nach Florenz und Erdbeeren im Winter.

Zielführend ist die Betrachtung unserer Zeitkultur durch die Brille der Allgemeinplätze. Zeit war schon immer objektiv, subjektiv das persönliche Erleben - wir sind nicht die ersten Jahrgänge, die sich mit diesem Problem beschäftigen. Lange Klage, kurze Antwort:

Eins nach dem Anderen - so viel Zeit muss sein.

Brauchen wir mehr als diese Goldene Regel der Zeitkultur? Vielleicht nicht. Denn man könnte ja erst mal beginnen, nicht ständig zwei Dinge gleichzeitig zu tun oder tun zu wollen, könnte frühstücken ohne Zeitung, fernsehen ohne Schnittchen, joggen ohne iPod, Kino ohne Popcorn, erst fahren und später ankommen, telefonieren oder rauchen, aber dafür richtig und nicht gedanklich schon immer beim nächsten Etwas, nie hier, immer schon dort, bei der Arbeit im Urlaub und im Urlaub arbeiten, immer alles und immer sofort. Ausserdem: ein Torwart muss gar nicht während des Spiels Kaugummi kauen. Und Mittagspause ist bis drei!

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